Horta, 15.01.2010
Nun müssen wir uns doch endlich mal melden. Erstmal in Kürze: Wir sind in Horta und haben insgesamt 12 Tage und 4 Stunden ab Segel Setzen vor Guadeloupe gebraucht. Das ist schnell.
Nun der Reihe nach.
Komplett reibungslos ging es nicht von statten. Wir hatten allen Ernstes einen medizinischen Notfall an Bord, von dem wir lieber wenig bis gar nichts durchblicken ließen, um keine Sorgen aufkommen zu lassen. Ihr erinnert Euch vielleicht, daß wir kurz nach Bergfest recht günstig im Wettersystem standen und zügig unterwegs waren. Alle waren froh über die schnelle Fahrt, bis auf Jürgen, der es nicht so recht genießen konnte. Woran auch immer es gelegen haben mag, er behielt genau gar keine Nahrung bei sich. Sei es fest oder flüssig, alles kam auf dem geichen Wege heraus, wie es reingekommen war.
Zuerst dachten wir noch, er würde eben eine Aversion gegen Expeditionsnahrung entwickeln, obwohl er beteuerte, Travellunch schmecke ihm. Jedoch kam auch alles flüssige wieder raus, und das war äußerst ungünstig. Der Mensch kommt ja lange ohne feste Nahrung aus. Indische Jogies schaffen das geradezu unbegrenzt lange, ohne Flüssigkeit wird es aber schon mittelfristig unangenehm.
Erstmal war da noch keine Sorge. Jürgen hätte als Preis für außergewöhnliche Taten an Bord von uns das goldene Kopfkissen erhalten, wenn wir eines zu vergeben gehabt hätten. Marcin, der unter seiner Schlaflosigkeit schon litt, beneidete Jürgen um seine Fähigkeit, mehr als 10 Stunden am Stück in der Koje liegen zu können. Genau diese Fähigkeit war es, die uns nun den ärgsten Druck nahm. Jürgen verbrauchte einfach so wenig Ressourcen, daß vorerst keine Handlungsnotwendigkeit bestand. Wir sind einfach weitergesegelt. Was sollten wir auch anderes machen.
Zwei Tage später wurde es kritischer. Es war der 10.01. Wir hatten eine zügige Nacht hinter uns. Die Genua stand mal wieder. Jürgen war schon längst wachfrei gestellt und hatte trotz tapferer Versuche nichts zu sich nehmen können. Die Pütz war absolut unentbehrlich und durfte auf keinen Fall weiter als Armreichweite entfernt sein, wenn er gerade mal was zu trinken versuchte. Das landete alles wenige Sekunden später mit Galle vermischt in der Pütz.
Nun war für uns Schluß mit lustig und Bremen Rescue, die Funkzentrale der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger wurde kontaktiert. Ein Hoch auf das Iridiumtelefon!
Bremen Rescue verband uns mit dem Krankenhaus in Cuxhaven, wo wenig später eine Ärztin unseren Fall anhörte. Die klang bei der Information “seit 70 Stunden nichts mehr bei sich behalten” alles andere als entspannt. Erstmal sollte so schnell wie möglich eine Infusion gelegt werden. Eine solche ist, man höre und staune, sogar an Bord! Was wurde nicht auf unserer Route mit den Füssen gescharrt, wenn der Spinnacker geborgen und die Genua viel zu klein war. Der fehlende Code5 mag einige Meilen gekostet haben, aber die Infusion war Gold wert und hätte nicht fehlen dürfen. Leider waren nur zwei Beutel Kochsalzlösung à 0,25 Liter an Bord. Ein schwimmendes Krankenhaus sind wir dann doch nicht. Zwar hätten wir das Zehnfache benötigt, aber es war schon mal deutlich besser als nichts. Hat schon mal einer so ein Ding gelegt? Irgendwann mal durfte ich das üben, aber an einem Arm, der die Vene gut sichtbar gemacht hat und in langer Vergangenheit.
Jürgens Vene war deutlich weniger gut sichtar, somit hat er sich kurzerhand den Zugang selbst in den Oberschenkel gelegt und Marcin danach die Schläuche angeschlossen. In der Zwischenzeit war das MRCC (Maritime Rescue Coordination Center – Seenotrettungsleitstelle) auf den Azoren von Bremen Rescue informiert und hielt Rücksprache mit uns. Vorerst wurde nach Schiffen geforstet, die weitere Beutel mit Kochsalzlösung an Bord hätten, kurz später fielen die Würfel in einer anderen Richtung. Jürgen sollte abgeborgen werden. Schiffe fielen für diesen Job gleich aus, zu stark war die Dünung.
Also ein Hubschrauber. Der hat eine Reichweite von 500 Meilen. Damit noch Zeit für das Manöver bleibt, darf der Radius nicht größer als 200 Meilen werden. Gleichzeitig wird Tageslicht benötigt.
Jürgen war nun, am 10.01. spät abends seit knapp drei Tagen ohne Flüssigkeit. Wir waren 400 Meilen von Flores, der dichtesten Azoreninsel entfernt. Bis zum nächste Abend konnten wir uns durchaus bis auf 200 Meilen annähren. Wenn wir schnell segeln. Also wieder mit Vollgas durch die Nacht.
Zwei Reffs im Groß und Fock bei gut 35 Knoten Wind. Den nächsten Tag mit Flaute und 50 Knoten Böe vorher haben wir schon beschrieben. Gegen Abend um 1800utc standen wir genau am Treffpunkt mit dem Helicopter. Unzählige Mails und Telefonate mit dem MRCC hatte Marcin dank Iridium (gepriesen sei es!) ausgetauscht und war genau instruiert. Das Boot war klar. Und wie! Alle Segel geborgen und weggestaut. Das Groß eng auf den Baum gebunden. Den Baum quer zum Schiff gestellt, die Backstagen zum Mast gebunden. Alles vom Heckkorb geräumt, was nicht niet-und nagelfest ist und alles Tauwerk verstaut, damit bloß nichts durch die Gegend fliegt, wenn der riesige Rotor so dicht über uns arbeitet. Glücklicherweise war den ganzen Nachmittag lang schon sehr wenig Wind. Jedoch blieben natürlich immernoch locker 4 Meter Dünung von den stürmischen Tagen zuvor stehen. Als der riesige Hubschrauber dann in Tuchfühlung stand, konnte der Pilot den riesigen Vogel auch sehr schön stationär zu uns halten und sich austarieren. Zumindest bis es ernst wurde. Ein Taucher wurde abgefiert. Der legte Jürgen den Gurt um. Bis dahin war der Helikopter eigentlich ganz gut zu uns positioniert gewesen. Nun aber wickelte er erst mal seinen Aufheißdraht um den Mast. Durch ein Wunder kam der wieder frei und zog dann den Taucher samt Jürgen wieder hoch. Nur leider nicht ganz senkrecht. Erst mal wurden sie über das Cockpit geschleift, unsanft gegen Großschotwinsch und Heckkorb geschleudert und dann bis zum Bauch ins Wasser getaucht, bevor es gen Himmel ging.
Wir blieben mit Staunen, einem Scheck in den Knochen sowie einer verbogenen Masteinheit für die Windmessanlage zurück. Immerhin war sie noch in Betrieb, da mußten wir sie nur neu einkalibrieren. Bis wir wieder unter Segeln waren, vergingen locker zwei Stunden Arbeit mit allen Kräften. Dann durch die Nacht in zunehmendem Wind. Das Groß gerefft und Genua. Autopilot mit hoher Empfindlichkeitseinstellung.
Der Morgen brachte mal wieder abnehmende Winde. Schnell ausgerefft und den Spi gesetzt. Mittags um halb eins gehalst und ab nun direkt Kurs auf die Südostecke der Insel mit dem Hafen gleich dahinter. Um 1300utc waren noch
105 Meilen bis in den Hafen, den wir doch so gern noch vor Mitternacht erreichen wollten. Tatsächlich haben wir es geschafft. Eigentlich war es utopisch, aber der Wind war gnädig. Zwar hat es gegen Abend etwas geschwächelt und war sehr unbeständig, aber gegen 2100 ging die Post richtig ab. Innerhalb von zwei Minuten nahm es von 20 auf gut 35 Knoten zu. Da der Wind halb einfiel, mußten wir auch tatsächlich zügig reffen. So ging es mit Schrick in den Schoten durch die Nacht. Zwei Reffs im Groß und Stagfock.
Recht bald war das dritte Reff fällig und irgendwann das auch noch zu viel.
Da wir aber nunmehr wieder raumschots unterwegs waren, haben wir nicht weiter gerefft, sondern per Hand gesteuert, um die Kontrolle zu behalten.
Das war eine Kamikazefahrt durch die Nacht. Die Insel war schon in Sicht, der Wind pendelte sich zwischen 45 und gut 50 Knoten ein und wir konnten gegen halb zwölf die Ecke runden. Lieber noch das Groß geborgen vor der Halse, trotzdem mit Fock allein zu viel Tuch. Vom Berg über dem Hafen wehten Fallböen herunter, die uns dann auch gut flachgelegt haben. Zu diesem Zeitpunkt war innen alles nass. Clemens navigierte uns durch die Nacht, Jörg und Marcin kämpften mit den Segeln und der Skipper wirbelte im Cockpit herum. Um 2347utc waren wir in Horta fest, hatten kurz Besuch von einem Hafenangestellten, der Marcin eine lang entbehrte Zigarette abtrat und uns gnädig liegen ließ. Das Schiff fluchtartig verlassend betraten wir genau 2355utc das Café Sport.
Ein Beweisfoto und drei Runden Getränke später konnten wir in einen komatösen Schlaf fallen. Die Heizung vertrieb die Nässe aus dem Schiff (Pütz und Schamm mußten noch vorarbeiten).
Am Morgen hatten wir Jürgen wieder an Bord. Der war vom Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen worden und dort so schnell wieder aufgepeppelt, daß er schon einen Tag später wieder entlassen werden konnte. Was genau er nun hatte, bleibt rätselhaft. Ein Verdacht war eine karibische Virusinfektion.
Warum die aber innerhalb so schneller Zeit geheilt werden kann, ist nicht klar. Eine Form von Seekrankheit wäre eine weitere Theorie. Dazu würde die Müdigkeit gut passen. Warum diese aber eine Woche lang auf sich warten ließ bleibt ebenfalls unklar. Was zählt ist, daß Jürgen zurück an Bord ist.
Gestern, am 13. war Flaute und Sonnenschein. Perfekt zum Trocknen. Da war einiges zu trocknen. Das Boot sah aus, wie die Villa Kunterbunt. Überall werden wir angesprochen: “Seid Ihr von dem deutschen Boot?” Das erte Boot im Jahr, von dem auch noch einer abgeborgen werden mußte ist hier irgendwie bekannt. Heute hatten wir einen Tag lang fast Dauerregen mit Starkwind, da wollte keiner segeln. Wenn das Wetter besser wird, werden wir wohl noch ein paar Runden Inselhopping machen, aber auf keinen Fall auslaufen, wenn Druck in der Luft in Aussicht gestellt wird.
Wir haben im Januar 2800 Meilen auf dem Atlantik hinter uns, ohne echten Sturm erlebt zu haben. Dafür sind wir dem Wettergott dankbar. Auf unsere gesegelte Zeit sind wir stolz. Gut acht Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen der Karibik und den Azoren, das ist flink. Es stellt ziemlich genau die theoretische Rumpfgeschwindigkeit dar und macht ein Durchschnittsetmal von 200 Meilen. Dabei sind wir im Fahrtenmodus gesegelt. Haben uns nicht durch schnelle Segelwechsel tot gemacht und viel den Autopiloten in die Pflicht genommen. Wir sind Sacks gefahren. Die Backskiste im Heck und der Ankerkasten im Bug blieben weitestgehend leer. Was nennenswert Gewicht hatte, wurde in Luv gestaut. Das hat das Leben anBord für uns nicht unbequemer gemacht, ganz im Gegenteil. Somit können wir mit Fug und Recht behaupten, als reine Fahrtencrew gesegelt zu sein. Wir hatten natürlich Windglück, was die Richtung angeht. Das erkennt man schon an der gesegelten Stecke. Zwischen Guadeloupe und Horta ist die Luftlinie 2200 Meilen lang.
Wir sind auch nur 2450 Meilen gesegelt, mußten also sehr wenige Umwege fahren. Allerdings haben wir auch zwei sehr flaue Tage debei. Unser schlechtestes Etmal beträgt 118 Meilen. Mehr als die Hälfte aller Etmale liegt unter 200 Meilen. Dafür sind in der zweiten Hälfte der Strecke auch mal ein paar Tage mit 10 Knoten im Schnitt dabei. Das hat sich gelohnt.
Damit endet unser Bordtagebuch. Hier auf den Azoren haben wir wieder W-LAN.
Ihr könnt also eventuelle Fragen an unsere privaten Adressen richten, oder an unsere Schiffsadresse pogoatlantik@gmx.de
Bis bald,
Pogo1 und Crew